Aktuelle linguistisch-didaktische Forschungen zur Geschäftssprache / Wirtschaftssprache

Aktuelle linguistisch-didaktische Forschungen zur Geschäftssprache/Wirtschaftssprache

Definitionsversuche
Die Termini „Geschäftssprache/Wirtschaftssprache werden im Kontext unseres Projekts nicht im Sinne von „Amtssprache“, sondern im Sinne von Sprache im Geschäfts- bzw. Wirtschaftsleben gebraucht. Die englische Übersetzung dafür wäre  
 
Meyers Konversationslexikon (http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=106678) definiert folgendermaßen:
"Geschäftssprache, diejenige Sprache, in welcher Geschäfte, insbesondere bei Behörden, abgemacht werden. Im Mittelalter war das Latein die allgemeine Geschäftssprache.
Die Geschäfts- bzw. Wirtschaftssprache fungiert sowohl in der gemeinsprachlichen als auch der fachsprachlichen Kommunikation, so dass es nicht leicht ist, die Grenze zwischen ihnen zu ziehen."
Die fachsprachliche Spezifik bezieht sich dabei fast ausschließlich auf den Bereich des Vokabulars, d.h. die berufs- und fachorientierte Sprache verfügt gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch über keine spezifische Syntax oder Grammatik. Ihre Besonderheit ist eine höhere Differenzierung bei der Anwendung der berufs- und fachbezogenen Lexik sowie bei der Beschreibung entsprechender Handlungsvorgänge. Im berufsorientierten Sprachunterricht sind ergo sowohl elementare als auch spezifische geschäftssprachliche Kenntnisse insonderheit im lexikalischen Bereich zu vermitteln. Allerdings ist der Anteil der gemeinsprachlichen Lexik recht unterschiedlich. Im Tourismus beispielsweise, der auch in unseren Lehrmaterialien eine größere Rolle spielt,  ist er weit umfangreicher als in anderen Fachsprachen. Bei einer Reihe von zu bewältigenden Kommunikationssituationen im Hotel (telefonische Zimmerreservierung, Empfang des Gastes, Informationen über Hoteleinrichtungen, Dienstleistungen, Unterhaltungsmöglichkeiten und Wetterverhältnisse, Telefonservice, Zimmerservice, Abrechnung und Verabschiedung, Reiseauskunft und –buchung) waren in einem Forschungsprojekt an einer Tourismusfachschule in Opatija/Kroatien die am häufigsten gebrauchten Wörter solche der Allgemeinsprache wie: sein (350), haben (210), Tag (190), gut (185), können (170), Herr (160), mögen (145), Rezeption (140), Hotel (132), Zimmer 130), Frau (128), Person (125), gehen (123), Nummer (122), Restaurant (115), kosten (95), Name, danken, Morgen, Jahr, Halbpension, fahren, Vollpension, wollen, Moment, freundlich, Reservierung, reservieren, Woche, wissen, brauchen, entschuldigen, bezahlen, Abend, schwimmen, Hallenbad, warten, kommen, Urlaub, nehmen, nachsehen, Ordnung, bestellen, Preis, baden, Nacht, richtig, Leid …. (s. N. Blažević/B. Bosnar-Valković: Aneignung produktiver Lexik im Unterricht Deutsch als Fachsprache im Tourismus, S. 693)
Wie man sehen kann, kommen die ersten Fachbegriffe, die allerdings eigentlich auch der Gemeinsprache zugerechnet werden können, mit einer wesentlich geringeren Häufigkeit erst an 8. bzw. ff. Stelle vor.
Die Vermittlung berufsbezogener Kompetenzen in der Fachsprache des Tourismus kann sich jedoch nicht darin erschöpfen, einem allgemeinsprachlichen Fundament lediglich fachsprachliche Lexik hinzuzufügen, denn fachsprachliche Kompetenz - besonders bei Gründung/Führung eines eigenen, rentablen Unternehmens, Einsatz neuer Technologien in der täglichen Arbeit, Beachtung und Darstellung administrativer Aspekte, Marketing, Kundendienst und Kundenbetreuung, umweltfreundlicher, nachhaltiger Führung des Unternehmens, juristischen Bestimmungen, Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen – „setzt sich zusammen aus komplexen Teilkompetenzen und Teilfertigkeiten, die zum Teil zwar auch der allgemeinen Sprachkompetenz zukommen, zu einem größeren Teil aber so spezifisch sind, dass sie besonders gefördert werden müssen. Konkret geht es um eine berufsbezogene Sprach- und Handlungskompetenz, die nicht allein auf grammatischer und lexikalischer Kompetenz aufbaut; sie schließt pragmatische Kompetenz ein, die auch als allgemeine Handlungskompetenz bezeichnet wird.
Von besonderer Bedeutung sind Text- und Worterschließungsstrategien, die sowohl beim Lesen wie auch beim Hörverstehen eine ganz wichtige Rolle spielen, und diese müssen gezielt als Arbeitstechniken vermittelt werden. Gerade bei fachsprachlichen Texten, in denen häufig Internationalismen und fachspezifische Termini bzw. Wörter mit kontextspezifischen Konnotationen auftreten, ist ein Strategieninventar zur Worterschließung von besonderer Bedeutung. Ähnlich wichtig ist die Förderung von Fertigkeiten, die der Erschließung der Grobstrukturen eines Textes oder der Herausarbeitung der zentralen Gedanken einer Aussage dienen. Insgesamt erscheint die Notwendigkeit, den Fremdsprachenlerner gerade im beruflichen Bereich so autonom wie möglich zu machen, von besonderer Wichtigkeit zu sein.“ (B. Rüschoff: Digitale Medien im berufsbezogenen Sprachenlernen am Beispiel des Data-Driven Learning /DDL. In: U. Schröder (Hrsgb.): Blickpunkt Sprachen, impuls 33, BIBB, Bonn 2008, 98 f.)
 
Ein Charakteristikum der Sprache im Bereich Tourismus ist dessen vergleichsweise starke Fokussierung auf die kommunikative Kompetenz, und diese, d.h. die Fähigkeit des Sich-verständlich-Machens, hängt eng mit der Sozialkompetenz als übergreifender Schlüsselkompetenz zusammen. In der sprachlichen Praxis bedeutet dies das Vorherrschen des mündlichen Sprachgebrauchs. Daher stehen die mündliche Kommunikation und der allgemeine Wortschatz im Zentrum betrieblicher Fremdsprachenkurse; „die Schulung des Fachvokabulars, Hörverstehens, Leseverstehens, der Grammatik und der schriftlichen Kommunikation folgen erst danach. Auch in der ibw-Studie sahen 40% der befragten österreichischen Betriebe Verbesserungspotenziale in der Weiterbildung bei der mündlichen Sprachkompetenz, 20 % in der schriftlichen Anwendung, 18 % in der berufsspezifischen Fachsprache, 12 % in der Lesekompetenz und 9% im interkulturellen Wissen.“ (S. Schöpper-Grabe: Fremdsprachen in der Wirtschaft – Bedarf, Angebot, Perspektiven. In: U. Schröder (Hrsgb.): Blickpunkt Sprachen, impuls 33, BIBB, Bonn 2008, 76) 
 
Ähnliche Ergebnisse erbrachten unsere eigenen Untersuchungen zum Fremdsprachenbedarf in Klein- und Mittelbetrieben in Dänemark, Deutschland, Frankreich und Spanien, wie die unten stehenden Grafiken zeigen:
 
Ergebnisse einer statistischen Erhebung über den Bedarf an Fremdsprachen in 586 KMU Ostthüringens durch das IIK
Notwendige Fremdsprachenverbesserung (in %)

 
Industrie
Handel
Dienstleistung
technol./
innov.
Gast-
gewerbe
Durch-
schnitt
mündlicher
Sprachgebrauch
88,70
75,00
100,00
82,76
51,35
79,56
Fach-
terminologie
42,60
16,67
79,17
44,83
32,43
43,14
praxisbezogene
Anwendung
36,52
41,67
54,17
55,17
37,17
45,06
Sprach-
verständnis
26,96
8,33
41,67
44,83
13,51
27,06
schriftlicher
Sprachgebrauch
65,22
16,67
75,00
51,72
43,24
50,37

 
Die große Bedeutung der mündlichen Sprachausübung generell im Dienstleistungsbereich und damit auch im Gastgewerbe  zeigt auch die Übersicht über die besonders häufig vorkommenden Situationen bei Gebrauch der Fremdsprache:
Situationen für den Sprachgebrauch in Deutschland  (in %)

 
Industrie
Handel
Dienstleistung
Technologische/
innovative KMU
Gast-
gewerbe
Korrespondenz
57,39
75,00
70,83
62,07
43,24
Aufträge
39,13
33,33
25,00
31,03
13,51
Techn. Texte
40,00
33,33
66,67
86,21
8,11
Konversation
57,39
58,33
83,33
72,41
62,16
Verkauf
53,04
50,00
54,17
37,93
51,35
Übersetzung
28,70
16,67
41,67
34,48
24,32
Verträge
35,65
25,00
33,33
34,48
16,22
Konferenzen
15,65
16,67
45,83
37,93
5,41
Dolmetschen
3,48
8,33
33,33
3,45
5,41
Werkbesuche
26,96
16,67
29,17
41,38
 
Reisen
48,70
66,67
91,67
65,52
45,95
Sonstiges
Telefon 7,82
Messe 4,34
 
Literatur
4,17
 
 
Beherberg. 2,70
Alltägliches 2,70
Fachseminar 2,70

 
Hinsichtlich des Gebrauchs des Mündlichen kann man diese Ergebnisse offenbar länderübergreifend verallgemeinern: Bei Paralleluntersuchungen in Dänemark, Frankreich und Spanien kamen ähnliche Ergebnisse zustande – dies sei hier am Beispiel des Spanischen dokumentiert:
 
Situationen für den Sprachgebrauch in Spanien (in %)

Korrespondenz
220
31,79%
Aufträge
100
14,45%
Techn. Texte
210
30,34 %
Konversation
436
63,00 %
Verkauf
57
8,23 %
Übersetzung
114
16,47%
Verträge
37
5,34 %
Konferenzen
69
9,97 %
Dolmetschen
83
11,99 %
Werkbesuche und Reisen
56
8,09 %
Sonstiges
61
8,81 %

 
Die nachstehende Tortengrafik veranschaulicht diesen Umstand:
 
Situationen für den Sprachgebrauch in Spanien (in %) grafisch:
 
 
Die fortgeschrittene Technik ermöglicht es, dass die Entwicklung des Mündlichen nicht auf die Präsenzphasen des Blended-Learning-Kurses beschränkt bleibt, sondern mittels der Audio- und Videoaufnahmen auf CD-ROMs/DVDs und im Internet, etwa via Podcast und Videocasting, erfolgen kann.
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Geschäftssprache Ungarisch.doc72 KB